Wenn meine Studierenden an der LMU in München die Hoffnung äußern, dass das Studium sie auf die Praxis als Musiklehrkräfte in Schulen vorbereitet, kann ich sie nur desillusionieren: Ich habe in meinem Studium nichts für die schulische Praxis gelernt – und das war gut so.
Zu Beginn meines Schulmusik-Studiums im Oktober 1990 war mein Hauptfach Klavier für mich das Wichtigste. Ich lernte bei Kristin Merscher viel über Musik, nicht nur Klavierspielen. Auch die Lehrveranstaltungen in Musiktheorie erschlossen mir neue Perspektiven, z. B. Gehörbildung bei Thomas Krämer oder Partiturspiel bei Manfred Dings. In besonderer Erinnerung blieb mir die Aufführung der Carmina Burana mit dem Hochschulchor im Atrium unter der Leitung von Volker Hempfling.
Als ich zusätzlich Musikerziehung (Klavier, Cembalo) studierte, besuchte ich Vorlesungen wie Akustik, wo auch die Studierenden aus den rein künstlerischen Studiengängen waren. Wir nutzten den eher überschaubaren Unterhaltungswert der Lehrveranstaltungen für unterschiedlichste Arten der Kommunikation und des Kennenlernens. Das war eine gute Möglichkeit, um hochbegabte Musiker*innen zu treffen und Kammermusikpartner*innen zu finden – mit einer Klarinettistin und einem Cellisten spielte ich lange im Trio und in Duokombinationen.
Mit Blick auf meine heutige berufliche Tätigkeit als Professorin für Musikpädagogik kann ich nur sagen, dass ich mich trotz der musikpädagogischen Lehrveranstaltungen an der HfM für diesen Weg entschieden habe. Mich faszinierte das wissenschaftliche Nachdenken über musikalische Vermittlungs-, Lehr- und Lernprozesse, obwohl die Lehrveranstaltungen eigentlich alles taten, um mir das auszutreiben. Bei einer späteren Begegnung mit meinem ehemaligen Musikpädagogik-Professor auf dem St. Johanner Markt meinte er im Hinblick auf meine Tätigkeit als Professorin für Musikpädagogik: „Von mir können Sie das nicht gelernt haben.“
Wenn man als Frau auf ein Musikstudium in den 1990er Jahren zurückblickt, darf man allerdings auch das, was als #MeToo bezeichnet wird, nicht unausgesprochen lassen. Wir kannten als Studentinnen die entsprechenden Professoren bzw. Dozenten und haben uns über Formen des individuellen Widerstands ausgetauscht in einer Zeit, in der es noch wenig Sensibilität für dieses Thema gab.
Ich bin, nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt in den USA, 2005 als Lehrbeauftragte an die HfM Saar zurückgekehrt. Vieles hatte sich verändert. Es war für mich vor allem schön zu erfahren, dass einige meiner früheren Professoren mich sofort als Kollegin akzeptierten und wir in kollegialen Gesprächen viele spannenden Themen diskutieren konnten.
Ich hoffe, dass es der HfM Saar auch in Zukunft gelingt, engagierte und inspirierende Professor*innen und Dozent*innen zu haben, die die Faszination von Musik und Musikvermittlung weitergeben – und dass sich die Studierenden bewusst sind, dass ein erfolgreiches Studium nicht nur auf die Berufspraxis vorbereiten sollte.
Alexandra Kertz-Welzel ist seit 2011 Universitätsprofessorin und Leiterin des Institutes für Musikpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Sie studierte Schulmusik, Musikerziehung (Klavier und Cembalo), Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der HfM Saar und der Universität in Saarbrücken. Sie promovierte in Musikwissenschaft mit einer Untersuchung zu frühromantischer Musikästhetik (2000). Nach dem Referendariat war sie von 2002–2005 als Postdoc an der University of Washington in Seattle (USA). In dieser Zeit arbeitete sie an diversen Forschungsprojekten und veröffentlichte ihre Forschungsergebnisse 2006 in ihrem Buch “Every child for music: Musikpädagogik und Musikunterricht in den USA”. Von 2005–2011 war sie im Schuldienst und als Lehrbeauftragte für Musikpädagogik an der HfM Saar tätig.
Zu ihren Forschungsinteressen zählen Internationale Musikpädagogik, Philosophy/Sociology of Music Education, Community Music und Kindermusikkulturen. Neben ihrer internationalen Vortragstätigkeit ist sie Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen. 2018 wurde ihr Buch “Globalizing music education” veröffentlicht, 2021 erschien ihr Buch „Rethinking music education and social change.”
Sie ist zur Zeit Prodekanin der Fakultät 9 an der LMU. Seit 2021 hat sie eine vierjährige Gastprofessur an der Inland Norway University of Applied Sciences in Hamar (Norwegen). Zudem ist sie Vertrauensdozentin der Studienstiftung des Deutschen Volkes.
Sie ist in vielen nationalen und internationalen Verbänden aktiv. Von 2017–2019 war sie Vorsitzende der International Society for the Philosophy of Music Education und von 2016–2018 Co-Vorsitzende der Forschungsgruppe zu Music Education Policy der International Society for Music Education. Darüber hinaus ist sie Mitglied in Editorial Boards renommierter internationaler Fachzeitschriften wie Philosophy of Music Education Review, Arts Education Policy Review oder Journal of Historical Research in Music Education.